Ficken

Fussi

Ficken ist ein vielfältig genutztes Wort, es kommt als Substantiv, Verb oder Adjektiv vor.

Ich habe versucht, mich daran zu erinnern, ob das früher auch schon so war, aber es gelang mir nicht. Die vielen Bedeutungen des Wortes wurden wahrscheinlich aus dem Englischen übernommen.

Ficken, genauso wie Fuck hat eindeutig sexuelle Konnotationen. Es beschreibt den sexuellen Akt. Einen erwachsenen Akt, ohne Schnörkel und Liebelei. Etwas, das man ab und zu braucht. Das sehr schön sein kann, weil dafür eben keine Rahmenbedingungen notwendig sind. Auch wenn man es als verheiratetes Paar macht.

Fuck ist aber auch ein Schimpfwort. Fucker auch. Schwächer, aber immer noch negativ sind: I don’t give a fuck, I’m fucked, fuck off, fuck it oder fuck you.

Auch auf Deutsch hört man: Fick dich. G’fickt für immer. Oder Ficken wir das System.

Ich empfand die verschiedenen Bedeutungen eigentlich immer als ganz amüsant, trennte die sexuelle Ebene von den Schimpfwörtern, dachte, beide Bedeutungen könnten nebeneinander und unabhängig voneinander existieren.

Doch dann, schrieb jemand einen dummen Tweet („Mehr Sex in der Politik. Lasst uns die Banken ficken!“). Der war wohl als billiger Witz gedacht. Die direkte Assoziation von Sex und der abwertenden Verwendung von Ficken gab mir aber zu denken.

Ständige unterschwellige Negativkonnotationen des Wortes Ficken haben auch Auswirkungen auf das Bild, das Menschen von Sexualität haben. Der erwähnte „Witz“ setzt Sex gleich mit männlicher Dominanz. Nicht nur das. Er suggeriert deutlich, dass diese Dominanz nicht nur gegen den Willen des „Gefickten“, sondern auch zu dessen Schaden angewandt wird.

Umgekehrt ist G’fickt (oder fucked) etwas Schlechtes, das gegen den eigenen Willen passiert. Dem man passiv ausgeliefert ist.

Geschlechtsteile sind ebenfalls Schimpfwörter: Auf Englisch häufig und zu verschiedensten Gelegenheiten verwendet: Cunt, prick. Auf Wienerisch seltener, aber doch: Beidl, Fut.

Gleichzeitig spricht man nicht über Penis und Vagina. Auch nicht über Sex. Sex wird hauptsächlich in einer idealisierten Form gezeigt. Entweder als Pornos, die Stellungen abbilden, die der Kamera besonders gut zugänglich sind. Oder als fotostreckentaugliche Softsexberichte in Frauenzeitschriften. Wer spricht schon ehrlich über Sex? Öffentlich niemand. Privat auch nicht viele.

Der Zusammenhang von sexuellen Begriffen als Schimpfwörter und dem Sex-Bild einer Gesellschaft ist wahrscheinlich wie bei Henne und Ei. Es ist wahrscheinlich nicht mehr feststellbar, ob sich diese Verwendung der Begriffe historisch (männliche Dominanz) entwickelt haben, oder ob dieses immer noch so stark ist, weil es ins Selbstverständnis von jungen Menschen übergeht, dass Sex etwas ist, das ein Mann einer Frau aufzwingt. Das sie zu ertragen hat.

Manche halten es für cool, Dinge zu sagen wie: „Ich fick dich, bis du nicht mehr kannst.“ Sie meinen das nicht böse. Es zeigt aber, dass die Grenzen zwischen der Anwendung von Sexualbegriffen im alltäglichen Sprachgebrauch und beim Sex durchaus verschwimmen.

Natürlich ist es nicht so, dass der eine „Witz“ auf Twitter Rape-Culture tatsächlich vertieft. Ständige Verwendung von Sexbegriffen mit negativer Konnotation machen das jedoch schon. Hässliche und abwertende Verwendung von Worten bewirkt viel im Unterbewusstsein (das gilt auch für die Verwendung von „schwul“ als Synonym für „schlecht“).

Eine Gesellschaft wird durch ihre Verwendung von Sprache geprägt. Solange Menschen, die sich für „liberal“ und „tolerant“ und vielleicht sogar „feministisch“ halten, solche „Witze“ machen, wird das nichts mit Beendigung von Rape-Culture. Auch nichts mit Gleichberechtigung. Oder mit einem offenen Umgang mit Sex.

Über Karin Koller

Biochemist, Writer, Painter, Mum of Three
Dieser Beitrag wurde unter Diese Woche konsumiert abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

5 Antworten zu Ficken

  1. dasmanuel schreibt:

    Grundsätzlich ist ein Zusammenhang zwischen Verrohung der Umgangssprache und einer gesteigerten Promiskuität der Gesellschaft erkennbar. In meinen Augen ist die Entwicklung auch genau so: Gesteigerte Promiskuität entwickelt verrohte Umgangssprache.

    So gesehen ist dies mit ziemlicher Sicherheit logische Konsequenz einer immer liberaleren und toleranten Gesellschaft. Und für die ‚Mitentwickler‘, die aktuellen jungen Generationen, Normalität.

    Ich meine mich zu entsinnen, dass das Wort ‚Geil‘ in meiner Jugend in etwa diesen Stellen- / Schwellenwert erreicht hatte.

    Liebe Grüße

    • Karin Koller schreibt:

      Der Unterschied ist, dass „Geil“ etwas Positives bedeutet. „Ficken wir die Banken“ ist eindeutig negativ. Vergewaltigung als Strafandrohung. Das ist keine gute Entwicklung. Aber auch nicht neu, möglicherweise expliziter.

      • dasmanuel schreibt:

        Hmm … Im Zusammenhang (als Beispiel: ‚Geile Drecksau‘) wird jedoch auch dieses Wort vom (positiven) Sinn her in seiner Bedeutung negativiert. Die eigentliche grundlegende Wortbedeutung ist bei ‚Ficken‘ ja eben auch erstmal – wenn schon nicht positiv, denn Sex ist ja etwas schönes – so doch zumindest wertneutral.

        Zudem können noch kulturelle oder zielgruppenspezifische Aspekte für einen entsprechenden ‚Bedeutungswandel‘ sorgen. ‚Nigger‘ fällt mir hierzu ein, ein grundlegend negativ behaftetes Wort, welches in entsprechenden Kreisen dennoch – fast liebevoll – mit ‚Freund‘ oder ‚Bruder‘ gleichgesetzt wird.

        Die Entwicklung hin zum expliziten findet definitiv statt. Darauf bezogen sind sprachliche Veränderungen, wie in diesem Eintrag beobachtet, jedoch die schon fast subtileren Veränderungen. Man betrachte doch nur die täglich im Fernsehen dargebotene Fleischbeschau …

        Sogar auf öffentlichen Websites werden mittlerweile Pornos propagiert (wenn ich auch gestehen muss, dass dieses Exemplar extrem stilvoll in Szene gesetzt wurde!):

        http://www.myvideo.de/watch/9267190/Hotel_Desire

        Liebe Grüße

  2. stephito schreibt:

    ficken meint schon ziemlich eindeutig die Penetration des (na, wie sollte er sonst heißen:) Penis der Vagina. das kann ein lustvoller oder aggressiver oder ein alles beide beinhaltender „Akt“ sein.
    letztlich vermute ich, dass das eindringen des Penis nicht gerade das geilste ist, das Frauen erleben können. hier würde sich das Mysterium des vaginalen Orgasmus auftun, wenn er nicht eher unabhängig von der Penetration wäre.
    diese dritte oder vierte „Kränkung“ der „Männlichkeit“ (als „Menschheit“ gelesen), dass nämlich das Eindringen des Penis nicht dieselben vaginalen Sensationen auslöst wie am männlichen Joystick,
    schlimmstenfalls vorgetäuscht und bestenfalls hingenommen werden, unterfeuert aggressionshaltige Befindlichkeiten.
    es könnte doch als lustvoll verstanden werden, jemanden anderen durchdringen zu wollen, resp. von jemandem anderen durchdrungen zu sein.
    aber da kommt ein Machtverhältnis ins spiel, das im spiel vielleicht lustvoll ist, in der Realität aber nichts anderes bedeutet als genau das, jemanden mit Macht zu durchdringen.
    So oder so ähnlich würde ich das interpretieren.

  3. Heinz-Ruediger_Kowaltkowski@web.de schreibt:

    jaaa – »Ficken« ist ein Euphemismus, der die Bewegung des Ein- und Ausfahrens des Gliedes wiedergibt; im Sächsischen gibt es das Adjektiv »fickrig«, welches eine Person »mit Hummeln im Hintern« bezeichnet, die nicht stillsitzen kann und unruhig hin- und herrutscht, und meine Großmutter bezeichnete ihre Kleine Handtasche, eine Art ledernen Pompadour, völlig selbstverständlich als »Ficke«, die Bewegung des Hineinsteckens und Entnehmens nebst gelegentlichen Wühlens mag Erwachsene durchaus an andere Verrichtungen erinnern…
    Wir haben also hier eine Bedeutungsübertragung vorliegen, wie sie auch der deutsche Name des Brettspieles »Backgammon« erlitt, nämlich Puff.
    Diese Entwicklung wird auch als pars pro toto bezeichnet: der Name eines Teiles wird für das Ganze gestellt – im Bordell wird auch Tricktrack gespielt.
    Allerdings haben sich die Bedeutungswandlungen dermaßen beschleunigt, daß so manche Entwicklung gar nicht mehr bei der Sprechergemeinschaft ankommt – »Schwarzer« sollte wohl mal für »Neger« gelten, ist aber schwuppdiwupp als Pejorativ für C*U-Politiker mit einschlägig gefärbten Koffern und Kassen eingesprungen – »«Namen entwerten nicht die benannte Sache, aber Euphemismen werden entwertet und Wortbedeutungen zerstört – im Pflegeheim kann man nicht mal mehr über einen endlich Schlafenden sagen, daß er eingeschlafen sei, weil von Dummen das »Eingeschlafen« als Euphemismus für »Gestorben« zerbraucht worden ist;

Hinterlasse eine Antwort zu Karin Koller Antwort abbrechen