Diese Woche konsumiert: Unzeitgemäße Wörter in Kinderbüchern

Der Thienemann Verlag entschied sich dafür, unzeitgemäße oder rassistische Wörter aus den von ihm angebotenen Kinderbüchern zu streichen. Der Verlag werde nun alle Klassiker durchforsten. Konkret wurden in Otfried Preußlers Die kleine Hexe die Worte „Negerlein“ und „wichsen“ (im Sinne von Schuhputzen und Kinder verhauen) durch zeitgemäßere Begriffe ersetzt. Der Verlag wolle „nicht schuld sein, wenn Kinder einen Schwarzen „Neger“ nennen“

Das halte ich für einen nachvollziehbaren Grund (obwohl „Schwarzer“ auch kein zeitgemäßer Begriff ist).

Sofort brach eine Diskussion darüber aus, wie sinnvoll dieses Verändern von Kinderbüchern ist, wo man die Grenze ziehen soll und ob man Kunstwerke verändern soll oder überhaupt darf.

Vor einiger Zeit habe ich einen Blogeintrag über Political Correctness geschrieben und einen darüber, wie eine zeitgemäße Übersetzung überhaupt erst den Zugang zu einem alten Werk, das in einer originalgetreuen Fassung unlesbar erscheint, ermöglicht.

Ich habe mir also über ähnliche Themen Gedanken gemacht. Trotzdem habe ich keine eindeutige Meinung zu diesem Thema.

Immer wieder höre ich von Leuten, die ihren Kindern beim Vorlesen nicht die Geschichte von Rassismus und Political Correctness erklären wollen. Mir fällt es auch schwer, das Wort „Neger“ vorzulesen, mich würgt es dabei immer ein bisschen und dann erkläre ich jedes Mal, wie das früher war und dass man das heute nicht mehr sagt. All diese Erklärungen können nur unzureichend sein. Und sie interessieren die Kinder, die ja wissen wollen, wie die Geschichte ausgeht, zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Manchmal lese ich einfach das zeitgemäße Wort anstatt des rassistischen vor, oder lasse die Bezeichnung der Hautfarbe ganz weg und lese „Bub“ statt „Negerjunge“.

Es stellt sich auch die Frage, wie das ist, wenn die Kinder das Buch selbst lesen und niemand ihnen erklärt, warum man die hässlichen Worte, die da stehen, nicht auch in der Schule sagen soll.

Aber wie steht es mit „wichsen“? Wird das gestrichen, weil man das Wort heute anders verwendet? Weil es etwas Sexuelles impliziert? Weil Kinder es nicht mehr verstehen? Und in der Verwendung „Kinder durchwichsen“? Kinder zu schlagen ist auch nicht mehr zeitgemäß. Sollte man auch streichen, dass Kinder geschlagen wurden?

Nicht nur rassistische Wörter sind unzeitgemäß, vieles andere, das in älteren Büchern geschrieben wird, ist das auch. Ich lese gerade meiner Ältesten Robinson Crusoe vor. Dort stört mich auch, wie Robinson zu Gott findet und seitenweise darüber geschrieben wird. Immer wieder muss ich erklären, was meine Meinung darüber ist und warum ich diese Art von Gläubigkeit nicht gut finde.

Aber muss ich das wirklich? Kann ich meinen Kindern nicht zutrauen, sich eine eigene Meinung zu bilden? Oder gibt es einen Punkt in ihrer Entwicklung, an dem sie es plötzlich können (spätestens wenn sie erwachsen werden, müssen sie es können)? Mache ich mit meinen Erklärungen ihre Meinungsbildung zunichte? Unterstütze ich sie?

Ich kann keine eindeutigen Antworten auf diese Fragen geben.

Auch nicht auf die Frage, inwieweit ein Werk durch das Weglassen oder Ändern bestimmter Wörter verfälscht wird.

Die Essenz der Kleinen Hexe ändert sich nicht, wenn man einige Worte weglässt, auch nicht der Stil. Bei anderen Werken ist das anders. In Huckleberry Finn kommt das Wort „Nigger“ unzählige Male vor. Es ist schwer, das vorzulesen. Würde man aber einen politisch korrekten Begriff wählen, dann ginge die Essenz des Buches verloren. Der hässliche Begriff erlaubt es, den Zwiespalt zu verstehen, in dem Huckleberry sich befindet, indem er Jim zur Flucht verhilft, weil er merkt, dass es sich bei Jim um einen Menschen und Freund handelt und nicht – wie ihm beigebracht wurde – um ein Stück entlaufenes Eigentum, das keinen Respekt verdient.

An einigen Schulen in den USA wird Huckleberry Finn nicht mehr gelesen. Das halte ich für falsch, gerade weil das Buch zeigt, wie man seine eigenen, von der Gesellschaft sanktionierten Vorurteile revidieren kann. Ich meine, Political Correctness soll man aus dem historischen Zusammenhang begreifen lernen. Die Vergangenheit auszuradieren oder durch Wortänderungen schönzureden, kommt einer Geschichtsfälschung gleich.

Es kann in diesem Zusammenhang auch sinnvoll sein, Kindern zu zeigen, dass selbst Menschen, die sich keiner rassistischen Propaganda schuldig gemacht haben (wie Astrid Lindgren), damals das Wort „Neger“ verwendeten (der Oettinger-Verlag hat beschlossen, in der 2007 Ausgabe der Pippi das Wort „Negerkönig“ beizubehalten und mit einer erklärenden Fußnote zu versehen, es 2009 aber durch „Südseekönig“ ersetzt).

Die Frage bleibt, was die sinnvollste Strategie ist.

Ist die Welt tatsächlich eine weniger rassistische oder weniger vorurteilsbeladene, wenn „heikle“ Begriffe aus alten Büchern gestrichen werden? Und umgekehrt: Werden Kinder tatsächlich glauben, es wäre in Ordnung, solche Begriffe zu verwenden, wenn sie diese in einem Buch lesen? Bekommen Kinder durch die Anpassung von Büchern an gegenwärtige Standards nicht das Gefühl, die Welt wäre immer schon so gewesen wie jetzt? Als hätte es keinerlei Entwicklung gegeben. Ist es nicht besser, sie erleben selbst durch das Lesen von alten und neuen Büchern den Unterschied in Sprache und Wahrnehmung von damals und heute mit? Und besteht nicht die Gefahr, dass in einer Welt, in der die früher bestehenden Vorurteile ausradiert und die Reflexion darüber nicht zugelassen wird, die neuen Vorurteile schwerer als solche erkannt werden?

Es gibt Bücher, bei denen es wichtig ist, Sprache und Handlungen beizubehalten, gerade um Kindern zu zeigen, was früher beabsichtigt rassistisch war oder einfach ohne nachzudenken im Alltag angewendet wurde, wie sich das verändert hat und was noch zu tun ist.

Bei anderen Büchern würde es eigentlich keine Rolle spielen, wenn das eine oder andere anstößige Wort gestrichen bzw. geändert wird.

Die FAZ schreibt dazu: „Ein Buch, das man seinen Kindern nicht so vorlesen mag, wie es ist, kann man auch zur Seite legen. Es gibt genug andere. Wer aber einen Text umschreibt, um ihm das Anstößige zu nehmen, erreicht damit nur eins: dass über dieses Moment der Irritation nicht mehr gesprochen wird. Und damit über das, was ernsthafte Literatur ausmacht.“

Das ist auch ein guter Punkt. Aber ist jedes anstößige Wort tatsächlich ein „Moment der Irritation“, über das man sprechen sollte?

Die Antworten auf alle sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen sind nicht so eindeutig, wie sie für viele in diesem Diskurs scheinen.

Über Karin Koller

Biochemist, Writer, Painter, Mum of Three
Dieser Beitrag wurde unter Diese Woche konsumiert abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

7 Antworten zu Diese Woche konsumiert: Unzeitgemäße Wörter in Kinderbüchern

  1. AS schreibt:

    ich glaube nicht, dass die Welt besser wird, wenn man die Vergangenheit schönfärbt

    • artemisssss schreibt:

      Was ist daran schönfärben, wenn man alte Bücher neu übersetzt und dabei den modernen Sprachgebrauch berücksichtigt? Wenn man Kusine statt Base sagt? Oder Onkel statt Oheim? Oder eben Inuit statt Eskimo?

      • Karin Koller schreibt:

        Bei Übersetzungen halte ich Änderungen oft für unproblematisch. Die Übersetzung an sich ist ja schon ein großer Eingriff ins Originalwerk. Bei
        Huckleberry Finn hielte ich die Verwendung von zeitgemäßeren Beizeichnungen wie gesagt allerdings für Geschichtsfälschung.
        Der „Südseekönig“ bei Pippi ändert andererseits nichts an Stil und Inhalt des Werks.
        Liegt das Werk in der Originalsprache vor, fände ich gerade Änderungen wie von Oheim in Onkel für sehr problematisch, weil diese Wörter niemanden verletzen und damals eben benutzt wurden. Ich kann die Entscheidung von Verlagen nachvollziehen, das eine oder andere Wort, wenn es den Zusammenhang nicht stört, zu entschärfen. Für das Ändern von „wichsen“ habe ich wenig Verständnis.

  2. georgiasalomon schreibt:

    Ganz deiner Meinung, Karin. Eingriffe in Originale halte ich immer für unzulässig. Man kann ja auch nicht die Katakomben in Rom zuschütten, weil darin Leute verfolgt wurden.

  3. Hofnarr schreibt:

    Karin, ich denke, Du möchtest Deinen Kindern ganz allgemein in Deiner Erziehung wie viele Eltern den Unterschied zwischen Gut und Böse oder recht und schlecht, schwarz und weiss usw. beibringen. Dies ist grundsätzlich richtig.

    Aber meines Erachtens sind Werke von Schriftstellern oder eben auch Dichtern stets ganz bewusst auf diese Weise geschrieben worden, um eine gewisse Wirkung des Gesagten zu erzielen. Wenn nun das Rechte im Text verbleib, während man das Schlechte daraus entfernt, kann mit dem Schlechten nicht mehr das Rechte gespiegelt werden, das heisst, die Unterscheidung, die schon der Schriftsteller zum Beispiel in Huckleberry Finn durch seine von ihm geschriebene Geschichte vornimmt, um mit seinen gewählten Worten und seinen gewählten Handlungen der Figuren seiner Geschichte aufzuzeigen, was recht und was schlecht ist, ist nicht mehr authentisch. Damit ist sein Werk als Ganzes sinnlos und zerstört…

    Ich denke aber, unsere Kinder lernen nicht aus erzählten Geschichten mit allenfalls ab und zu schlechten Worten allein, die aber nichts mit dem Alltag zu tun haben, sondern lediglich mit dem aktuellen Werk eines Dichters, zu unterscheiden, was recht und was schlecht ist, sonst hätten wir ja die gleiche, ausschliessliche Wirkung auch aus Filmen durchs Fernsehen oder später durch die Einflussnahme von Schulkameraden oder anderen Dritten. Kinder lernen vorallem dann zu unterscheiden, was recht und was schlecht ist, indem sie in ihrem Umfeld ihren nächsten Bezugspersonen im Alltag in ihren Worten und Handlungen zusehen. Wenn also Kinder von ihren Eltern einen sorgsamen, verständnisvollen, respektvollen und liebevollen Umgang untereinander und mit ihnen in grosser gegenseitiger Achtung täglich miterleben können, können sie jedenfalls so oder so sehr bald selber unterscheiden zwischen rechten und schlechten Wörtern, deren Wirkung auf andere und benützen daher automatisch nicht die missachtenden, respektlosen, abwertenden Bezeichnungen im Alltag, weder in Wort und Schrift noch in Gedanken und Gefühlen, weil sie diese negativen Bezeichnungen gar nicht gewohnt sind zu benützen oder zu denken und zu fühlen.

    Tatsächlich nämlich sind Menschen mit anderer Hautfarbe für Kinder nur dann als negativ anzusehen, wenn Erwachsene oder Aeltere eine abwertende Haltung andersfarbigen Menschen gegenüber einnehmen und entsprechend respektlos handeln. Ein Dunkelhäutiger nun aber, ob nun „Nigger“, „Neger“, „Schwarzer“ oder von weniger versierten Kindern als „Schockolade-Kind“ bezeichnet, wird jedenfalls spüren, dass er weniger wert sein soll als all die andern, vermutlich eben Weissen oder Hellhäutigen. Wollen wir Eltern eine solche Unterscheidung unserer Kinder nicht, dann müssen wir ihnen im Alltag durch unsere eigenen, andersartigen Handlungen, nicht durch wortreiche Erklärungen notabene, gerade diesen Dunkelhäutigen gegenüber Vorbild sein, dass unsere Wertschätzung jeglichen Menschen gegenüber klar und deutlich zum Ausdruck kommt. Es ist eine Frage der Wertschätzung von Menschen ganz allgemein, wie wir miteinander umgehen. Dies aber lernen unsere Kinder im Laufe ihres Lebens auch ohne Worte sehr genau!

  4. peter schreibt:

    Man könnte denken, es sei eine Glaubens- und Vertrauensfrage. Wenn ich von Kindern allgemein und von meinen Kindern speziell glaube, dass die Verwendung dieser Wörter in alten Büchern sie zu Rassisten macht, muss ich diese Wörter ersetzen.
    Aber wer glaubt dies eigentlich wirklich?
    Irgendwie denke ich, dass es schon etwas mit political correctness und Tabuisierung zu tun hat. Wenn es einen würgt, diese Wörter vorzulesen, heißt das für mich, dass man Angst hat, andere Menschen könnten einen für einen Rassisten halten. Oder noch eine Ebene abstrakter und unbewusster: Man hat das Gefühl, sich durch Aussprechen dieser Wörter zu beflecken; Schuld auf sich zu laden.
    Ich halte von der Veränderung dieser Texte gar nichts. Nicht wegen irgendwelcher abstrakter Prinzipien, dass man Kunst nicht verändern dürfe, sondern weil ich der Meinung bin, dass man dem Leser bzw. den Kindern damit Unrecht tut und sie für blöd und manipulierbar hält.
    Und Wörter wie Oheim etc. sollten stehenbleiben, damit sie nicht verlorengehen und bald nur noch von Sprachhistorikern verstanden werden.

  5. Hofnarr schreibt:

    Das klassischste Buch der Bücher, das durch die Jahrhunderte gerade beim Uebersetzen, aber auch sonst, massiv verändert wurde, ist wohl unsere heutige Bibel oder Fassungen früherer Jahrhunderte. Schade darum, denn dadurch wurden viele Aussagen des einstigen Originals der Bibel ganz massiv zweckentfremdet und das einstige Christentum auch massiv umgedeutet und in vielerlei Konfessionen auch missbraucht für Handlungen und Aktivitäten, die weit vom eigentlichen Sinn der christlichen Religion entfernt sind. Gerade christlicher Rassismus wurde erst durch die Veränderungen des Originals der Schriften des Christentums wirklich ausgelöst… denn eigentlich hätte gerade christliche Nächstenliebe in jedem Fall keinesfalls etwas mit Rassismus zu tun!

Hinterlasse eine Antwort zu Hofnarr Antwort abbrechen