Abgrundtief verliebt

Ein Beitrag für *.txt von Dominik Leitner

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Wenn ich „abgrundtief“ höre, fällt mir sofort „abgrundtief hässlich“ ein. Ich könnte gar nicht sagen, warum das so ist. Ich erinnere mich nicht, ob wir das gesagt haben, damals, als ich ein Kind war. Ich erinnere mich aber, dass Hässlichkeit ein Thema war. Wie ich mich fürchtete vor Menschen, die ich als hässlich einstufte, weil ich Hässlichkeit mit Bösartigkeit assoziierte (ein Relikt aus den Märchen, wo das oft so ist?). Wie ich später, als Teenager, mit meinen Freundinnen darüber sprach, ob wir uns jemals in einen hässlichen Mann verlieben könnten. Wie ich Angst hatte, hässlich zu werden (oder zu bleiben, das hatte ich noch nicht entschieden – der Spiegel gab mir da keine schlüssigen Auskünfte).

Ich weiß nicht, warum das Aussehen – das eigene und das von anderen Menschen – so bedeutsam erschien, dass ich es mit einer abgrundtiefen Hässlichkeit klassifizierte. Dass mir ein Aussehen, das nicht meinem Geschmack entsprach, als hassenswert erschien. Ich war damit nicht alleine. Auch heute noch spielt das bei jungen Menschen und wahrscheinlich auch bei älteren eine große Rolle, obwohl die Qualifizierung von schön und hässlich von rein äußerlichen Merkmalen oberflächlich und bescheuert ist. Aber ich brauchte ziemlich lange, um das zu erkennen.

Wenn ich nun so nachdenke über Schönheit und Hässlichkeit und dabei das eigentliche Wort – abgrundtief – um das es hier geht, aus den Augen zu verlieren drohe, denke ich an das Verliebtsein.

Abgrundtief verliebt.

Es ist schon lange her, dass ich frisch verliebt war, aber wenn ich daran denke, wie das damals war, kommt mir der Ausdruck „abgrundtief verliebt“ richtig vor. Obwohl ihn niemand verwendet und abgrundtief eher nur mit schlechten Dingen assoziiert wird.

Ich stelle mir einen Abgrund vor, der mit einem dunkelgrünem Wasser gefüllt ist. Im Wasser spiegelt sich der Himmel und manchmal spiegle ich mich darin. Ich kann nicht bis zum Boden sehen, weiß aber, ich muss in dieses Wasser tauchen, wenn meine Wünsche wahr werden sollen. Ich muss ganz eintauchen, möglicherweise tief tauchen und durch eine weiteren Abgrund hindurchtauchen. Ich weiß nicht, ob das Wasser kalt ist oder warm. Ich weiß nicht, wie tief ich tauchen muss und wie lange und ob ich das überhaupt schaffen werde.

Aber der Drang, mich in diesen Abgrund zu stürzen, ist so stark, dass ich alle Bedenken zur Seite schiebe und es einfach mache, ohne vorher nachzudenken, oder auch nur eine Zehenspitze hineinzustecken, um zu prüfen, worauf ich mich da einlasse.

Manchmal war der geheimnisvolle Abgrund nur eine laue Badewanne, die schnell abkühlte. Manchmal ein Giftsee, der mir das Gemüt zu verätzen drohte. Einmal aber war der Abgrund genau richtig, die Temperatur des Wassers angenehm erfrischend. Das Durchtauchen ein Abenteuer. Es war schön, gewagt zu haben, dort einzutauchen. Ich habe es von Anfang an gewusst, dass ich es tun muss. Dass ich es tun will. Ich hatte das Vertrauen, dass alles gutgehen würde.

Es war nicht ein Abgrund, an dem ich bei einem falschen Schritt zerschmettert werde, es war eher etwas, dessen Tiefe ich erahnte. Und obwohl diese Tiefe mir in ihrer Ungewissheit auch manchmal Angst machte, wusste ich, ich musste mich darauf einlassen. Und ich habe es nie bereut.

Über Karin Koller

Biochemist, Writer, Painter, Mum of Three
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