Pensées: La Traviata

Kamelie

  1. Zuerst will ich gar nicht in die Oper. Die Kleinste ist krank, die Woche hat sich zäh herumgeschleppt und war dennoch stressig. Vor dem Fernseher zu liegen erscheint mir verlockender als drei Stunden in einem Provinztheater zu sitzen.
  2. Ich gehe doch.
  3. Verdis La Traviata wird gegeben.
  4. Die Bühne Im Landestheater ist sehr klein. Das Orchester ist auf der Bühne aufgebaut, für die Sänger scheint kaum Platz zu sein. Eine beinahe orchestrale Vorstellung?
  5. Die Musiker betreten nach und nach die Bühne. Sie stimmen ihre Instrumente. Einer bläst seine Flöte aus, dass es laut quietscht. Ein Medodiefetzen klingt durch die Geräuschkulisse des Instrumentenstimmens. Das entspannt mich.
  6. Das Licht wird gedimmt, die Musik beginnt zu spielen, die Sänger betreten die Bühne. Alle haben ihre Gesichter weiß gefärbt. Außer Violetta und Alfredo. Zunächst finde ich das affig.
  7. Die Musik ist aber schön. Der Text wird auf einem Monitor eingeblendet. Darüber bin ich  froh, da ich vergessen habe, im Vorfeld etwas über die Handlung zu lesen.
  8. Das Trinklied, überschäumend, ausgelassen. Die Kostüme in Weiß, Schwarz, Rot gehalten. Das Bühnenbild besteht im Wesentlichen aus Holzstühlen, Kerzen und einen Ohrensessel.
  9. Violetta möchte ihre Todesangst in Vergnügungen ersticken, sich nicht binden nicht nachdenken.
  10. Dann hört sie auf die Liebeserklärung von Alfredo Di quell’amor ch’è palpito Dell’universo, Dell’universo intero Diese Liebe ist der Herzschlag des ganzen Universums.
  11. Ich lasse mich ganz in die Musik hineinsinken. Es gelingt mir nicht oft, mich beim Musikhören völlig gehen zu lassen. Vielleicht weil ich nicht musikalisch genug bin, um Musik leicht zu verstehen. Oder weil ich mich zu leicht ablenken lasse.
  12. Zum ersten Mal begreife ich in einer Oper, wie sich ein Melodiethema weiterentwickelt. Von dem lustigen Trinklied zur gefühlvollen Liebeserklärung bis zur Todesqual.
  13. Ich greife vor. Zuerst gibt es noch die üblichen Verwicklungen, bei denen Violetta ihrer Liebe abschwört, um Alfredo nicht zu verletzen, behauptet, sie liebe einen anderen, Alfredo sie tief getroffen beleidigt, es zu einem Duell und schließlich – als Violetta bereits todkrank ist – zur Aussöhnung.
  14. Aber wegen der Handlung geht man ja nicht in die Oper.
  15. Für den Maskenball tragen die Sänger andere Kostüme. Monsterköpfe aus Papiermaché, Tattoo-Shirts, Riesenpimmel aus pinken Luftballons. Mit Hodensäcken.
  16. Ein Chorsänger läuft mit nacktem Oberkörper herum. Seine Schultern sind mit einem blau/grünen echten Tattoo verziert. Ich kann nicht anders, als daran denken, wie oft ich auf meinem Blog angesprochen werde, weil Leserinnen befürchteten, dass Piercings und Tattoos einen gesellschaftlichen Nachteil erzeugen würden. Offenbar gibt es den nicht in einem Opernchor.
  17. Alle Frauen tragen unterhalb der Taille über ihrem Kleid entweder eine rote Blume, ein Tierfell oder Federn. Zusammen mit den pinken Ballons der Männer ergibt das eine sehr aufreizende sexuelle Konnotation.
  18. Das Fest wird immer wilder. Als es endet wird es still. Der Chor hat die Stühle zwei Reihen aufgestellt. Die Bühne sieht aus wie eine Kirche. Ich habe nicht bemerkt, wie es dazu kam. Dieser plötzliche Übergang von dem rauschenden Fest zur kargen Kirche wirkt beklemmend.
  19. Das Finale beginnt. Violetta und Alfredo versöhnen sich, merken schnell, dass es zu spät für sie ist. Die Schlussarie gehört zu den ergreifendsten Musikstücken, die ich je gehört habe (hier in der Version der Salzburger Festspiele )
  20. Mir läuft eine Träne über die Wange.
  21. Es ist ein wunderschöner Abend.
  22. Zufällig wird einige Tage später in ORF 3 eine Inszenierung der Traviata von 1981 von der Metropolitan Opera mit Placido Domingo ausgestrahlt.
  23. Sehr bieder mit biederen Kostümen. Da erst fällt mir auf, wie viel Kostüme und Bühnenbild ausmachten und dass ich gerade durch sie zum Nachdenken angeregt wurde.
  24. Schön, wenn das ein kleines Provinztheater kann.

Über Karin Koller

Biochemist, Writer, Painter, Mum of Three
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3 Antworten zu Pensées: La Traviata

  1. Monika schreibt:

    La Traviata ist ja überhaupt die großartigste Oper, vor einigen Jahren gab es in Salzburg eine Inszenierung mit Netrebko, die genial war.

    • Karin Koller schreibt:

      Das verlinkte Video der Abschlussarie ist aus dieser Inszenierung. Sieht sehr gut aus und ähnlich modern wie in Bregenz (möglicherweise hat man sich in Bregenz an dieser Inszenierung orientiert?)

  2. Pingback: Pensées: In der Oper – Rigoletto | Karin Koller

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