Nein

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Meine Mutter kann nicht „Nein“ sagen. Sie glaubt nur, dass sie das kann. Aber aus ihren „Neins“ hört man sehr deutlich ein „Vielleicht“ heraus. Oft sogar ein „Eher schon“.

Weil das so ist, wird meine Mutter immer wieder von Staubsaugervertretern und anderen mobilen Händlern besucht und belagert. Sie bringt es nicht über das Herz, denen zu sagen, dass sie gar nichts kaufen will. Sie findet das unhöflich. Wenn sich die Vertreter schon die Mühe machen, ihr Haus zu saugen, dann will sie die Höflichkeit haben, sie ausreden zu lassen.

Auf die Idee, dass sie den Vertretern die Zeit stiehlt, kommt sie gar nicht. Und dass die Vertreter, nachdem sie so viel Zeit und Mühen in meine Mutter investiert hatten, nicht so ohne Weiteres aufgeben wollen.

In dem Jahr, als mein Mann und ich heirateten, griff sie gerne – nach etlichen Stunden zäher und für beide Seiten zermürbender Verhandlungen – zur letzten Ressource und sagte: „Hmm, aber meine Tochter heiratet heuer, da kann ich wirklich keinen Staubsauger/Mixer/Rolladen kaufen.“

Und dann war sie recht zufrieden darüber, wie elegant sie die Situation gelöst hat.

Wenn ich mit ihr schimpfe und ihr sage, sie solle den Vertretern doch lieber gleich die Türe vor der Nase zumachen, weil die auch lieber schnell keinen Erfolg haben als langsam, versteht sie das nicht.

Aber nicht immer kann sie sich herauswinden. Und nicht immer sind es Vertreter, die zu ihr kommen.

Neulich wollte meine Mutter mit dem Fahrrad das Altpapier entsorgen fahren. Als sie das Papier aufgeladen hatte, fuhr ein großer Audi in ihre Einfahrt.

Ein Mann stieg aus wirkte sehr erfreut, schüttelte ihr die Hand und sagte: „Gut, dass ich Sie gefunden habe. Meine Mutter hat mich beauftragt, Sie zu finden und Ihnen ein Geschenk zu geben.“

Meine Mutter wurde skeptisch und ein bisschen nervös: „Ich kenne Ihre Mutter nicht,“ sagte sie, bevor der Mann sagen konnte, wie seine Mutter heißt.

Der Mann zeigte sich empört: „Aber meine Mutter spricht immer so nett von Ihnen, so gut seien Sie zu ihr gewesen. Und schauen Sie, diese schöne Stickdecke hat sie extra für sie gemacht.“

„Wie heißt denn Ihre Mutter?“

„Maria. Und bei dieser Kirchensache haben Sie sich doch so gut verstanden.“

Meine Mutter meinte, ihn nun gänzlich niederschmettern zu können. Anstatt ihn abzuwimmeln oder wenigstens nach dem Nachnamen zu fragen, sagte sie: „Das ist unmöglich, in der Zeit lebte ich gar nicht hier, sondern in Salzburg.“

Obwohl von einem Zeitraum gar nicht die Rede war.

„Aber natürlich meine ich Salzburg,“ sagte da der Mann und schon war meine Mutter in die Enge getrieben. Er sagte auch: “Wenn Ihnen diese Decke nicht gefällt, dann können Sie eines von diesen,“ er machte den Kofferraum auf, der voller Stickdecken war, „für 70€ kaufen.“

Meine Mutter geriet in Vertretermodus: „Ich habe schon so viele Stickdecken, meine Tochter hat die gemacht und jetzt will sie nicht mehr, dass ich sie aufhänge.“

„Aber meine Mutter wäre todunglüchlich, wenn Sie das Geschenk, das Sie extra für sie gemacht hat, nicht nehmen würden.“

Meine Mutter stellte jetzt die Frage, die ihrer Meinung nach in diesem Augenblick jeder stellen würde: „Wie geht es Ihrer Mutter?“

Da wusste der Mann natürlich, dass er Erfolg haben würde. Er erzählte, dass es der Mutter schlecht ginge. Dass er sie keinensfalls enttäuschen könne und als meine Mutter sagte: „Ich kann keinesfalls ein Geschenk annehmen“, sagte der Mann: „Dann geben Sie mir 20€. Für das Benzin.“

Meine Mutter machte das, damit der Mann endlich ging.

Als sie vom Altpapierentsorgen zurückkam, stand das Auto beim Nachbarn.

Meine Mutter rief mich an: „Du, da hat mich einer ausgetrickst.“

Und dann erzählte sie mir alles haarklein. Immerhin hatte sie nur 20€ verloren und die Deppensteuer hatte sie sich auch verdient. Ich sagte, vielleicht sei das auch ein armer Mensch, der seinen Unterhalt so verdienen muss. Aber andererseits: Der Audi.

Na ja. Sie hätte ja auch einfach „Nein“ sagen können.

Über Karin Koller

Biochemist, Writer, Painter, Mum of Three
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