Diese Woche konsumiert: Form und Inhalt

Form und Inhalt gehören zusammen. Lange habe ich das nicht verstanden. Inhalt zählte für mich alles. Korrekt argumentierter Inhalt rechtfertigte jede Form, dachte ich.

Bis ich eine Szene in West Wing sah, jene in der Deborah Fiderer (Lily Tomlin) sich um die Position der Privatsekretärin des Präsidenten der Vereinigten Staaten bewirbt. Eigentlich geht alles schief. Zu allem Überfluss wird noch der Brief erwähnt, in dem Fiderer die Regierungsposition zur Wasserversorgung in der dritten Welt kritisierte und schrieb man solle „Arsen in Präsident Bartlets Wasser geben.“

Fiderer will sich schon beschämt verabschieden, da bietet ihr der Präsident die Stelle an. Sie habe, trotz ihrer offenkundigen Wut und der harschen Kritik, die sie äußerte, die korrekte Bezeichnung für den Präsidenten gewählt, das zeige ihren Respekt für das Amt.

Meine erste Reaktion war: Das ist doch absurd. Sie schlägt vor, ihn zu vergiften, und er vertraut ihr, weil sie eine korrekte Floskel benutzte, die keinerlei Aufwand erforderte. Es kam mir vor wie eine Übertünchung des Wesentlichen durch die äußere Form.

Die Szene ging mir aber nicht aus dem Kopf. Nach einiger Zeit begriff ich, dass Bartlet recht hatte (obwohl ich immer noch die Vergiftung als Problem empfinde).

Wahre ich die äußere Form bei einer seriösen und stichhaltigen Kritik nicht, biete ich meinem Gegenüber eine Angriffsfläche. Ich begebe mich auf ein niedriges Niveau, nicht selten so niedrig, wie es meiner Meinung vom Kritisierten entspricht. Will ich das? Nein. Ich möchte den andern mit Argumenten entgegentreten, seine Fehler und Unzulänglichkeiten aufzeigen, nicht seine Fehler und Unzuläglichkeiten widerspiegeln.

Gelingt mir das? Leider nicht. Ich gerate in Rage und meine dann, meine eigene billige Polemik wäre jener meines Gegenübers haushoch überlegen, weil ich ja „das Gute“ will oder zumindest das „einzig Sinnvolle“ und er nur „blöd“ ist. Oft merke ich erst viel zu spät, dass ich auch auf niedrigem Niveau, und am Thema vorbei argumentiere.

Sollte ich beispielsweise eine Kritik über Kardinal Schönborn schreiben, fielen mir viele Unflätigkeiten ein und nur wenige sachliche Argumente. Das merkte ich aber anfangs vielleicht gar nicht, weil ich durchaus einen Text verfertigte, den ich in Wut und Häme als angemessen empfinden würde.

Sobald ich jedoch anfange, die äußere Form zu wahren und den Kardinal respektvoll zu benennen, muss mir auffallen, dass ich mir bisher keine stichhaltigen Argumente überlegt habe.

Elke Lahartinger hat sehr rigide die Form gewahrt und einen sehr gut argumentierten und ernstzunehmenden kritischen Artikel über Kardinal Schönborn geschrieben. Das kostet Mühe und Zeit und Beschäftigung mit dem zu Kritisierenden.

Einhaltung von formellen Grundprinzipien ist nicht eine Anbiederung, sondern dient der Selbstkontrolle. Das gilt für alle Formen der Kritik. Ob ich jetzt einen Blogeintrag schreibe, mich mit einer Lehrerin meiner Kinder befassen muss, mit Bekannten eine Diskussion habe oder mit meinen Kindern herumstreite. Sobald ich den niederen Instinkten vertraue, habe ich schon verloren, weil meine Argumentation ins Unsachliche abgleitet.

Es fällt mir sehr schwer, in der Hitze des Gefechts die Form zu wahren. Oft genug fällt es mir erst ein, wenn ich bereits einige Untergriffe oder beleidigende Witzchen losgelassen habe, manchmal kann ich dann meinen Kurs nicht mehr ändern, weil ich mich gehen lasse. Und dann ärgere ich mich.

Die Form bestimmt nicht selten den Inhalt. Wer das nicht berücksichtigt (in der privaten Konversation, im öffentlichen Diskurs, in den Medien), braucht sich nicht zu wundern, wenn er plötzlich auf einer Stufe steht mit jenen, auf die er glaubte, herabschauen zu müssen. Oder noch eine Stufe drunter.

Denn die Einhaltung der Form verleiht nicht dem Kritisierten eine falsche Würde, sondern dem Kritiker eine echte und dazu auch noch Glaubwürdigkeit.

Über Karin Koller

Biochemist, Writer, Painter, Mum of Three
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2 Antworten zu Diese Woche konsumiert: Form und Inhalt

  1. Sehr richtig, wenn man mit Dreck schmeisst, wird man immer auch selber dreckig, selbst wenn der eigene Dreck wohlriechender als jener des Gegners ist.

  2. bettinahartm schreibt:

    Da hast du nicht unrecht, obwohl es oft schwer fällt, kühlen Kopf zu bewahren

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